Schmerzhafte Vorfälle: Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Bandscheiben-OP?

Wann soll ein Bandscheibenvorfall operiert werden? Wie lange kann man zuwarten und mit konservativen Therapien behandeln? Eine brandneue Studie gibt Aufschluss darüber.

Soll ein Bandscheibenvorfall eher früh operiert werden? Wie lange kann man zuwarten und mit konservativen Therapien behandeln? Seit langem wird dieses Thema in Fachkreisen, von Laien und in den Medien kontroversiell diskutiert. Eine brandneue Studie*) konnte nun nachweisen, dass in den allermeisten Fällen mit einer OP gefahrlos zugewartet werden kann. Vorausgesetzt, es handelt sich nicht um einen Notfall.

Starke Schmerzen, die häufig in die Extremitäten ausstrahlen, oft verbunden mit einem Taubheitsgefühl im Versorgungsgebiet der eingeklemmten Nervenwurzel, gelegentlich auch Lähmungserscheinungen: Das sind die häufigsten Symptome bei einem Bandscheibenvorfall. Bis zu 90 Prozent der Bandscheibenvorfälle können erfolgreich mit konservativen, multimodalen und interdisziplinären Therapien behandelt werden. Chirurgische Eingriffe werden in nur rund fünf Prozent im Rahmen von Notfällen durchgeführt, d.h. wenn beispielsweise irreversible Schäden der Nerven zu befürchten sind. 95 Prozent der Operationen erfolgen aufgrund anderer Indikationen. Seit langem wird darüber diskutiert, ob und wann ein Bandscheibenvorfall operiert werden muss. Immer wieder findet sich auch in Laienmedien die Kritik, dass viel zu viel und unnötig an Bandscheiben operiert werde.

Früher oder später operieren?

In Deutschland unterziehen sich rund 0,2 Prozent der Betroffenen einer Bandscheibenoperation, in Österreich sind es 0,12 Prozent. Eine soeben publizierte Studie der deutschen Universität Witten/Herdecke und der Neurochirurgischen Klinik Köln ging erstmals der Frage nach, ob es einen optimalen Zeitpunkt für einen chirurgischen Eingriff beim Bandscheibenvorfall gibt. Die Hypothese der Mediziner: Eine frühere operative Versorgung erzielt ein besseres Behandlungsergebnis als eine später angesetzte. Untersucht wurden zwei Gruppen von Patienten im Alter zwischen 18 und 75 Jahren mit einer therapieresistenten Lumboischialgie (im Volksmund auch Hexenschuss oder Ischias genannt), verursacht durch einen Bandscheibenvorfall.

Die Patienten der ersten Versuchsgruppe wurden nach einem kurzen konservativen Therapieversuch (also mit Hilfe medikamentöser Therapie und physikalischer Maßnahmen) innerhalb von zwölf Wochen operiert. Die Patienten der zweiten Versuchsgruppe wurden über einen längeren Zeitraum von mehr als 12, aber weniger als 36 Wochen im ambulanten Bereich konservativ behandelt. Erst nach Scheitern der konservativen Behandlung unterzogen sich diese Patienten der Operation. Fazit der Studie: Der frühere Zeitpunkt des operativen Eingriffs führte nicht zu signifikant überlegenen Therapieergebnissen. Daraus lässt sich folgern, dass mit einer Operation auch gefahrlos zugewartet werden kann, vorausgesetzt, es handelt sich nicht um den bereits erwähnten eher seltenen Notfall. Als wissenschaftlich erwiesen gilt, dass durch die chirurgische Behandlung im Vergleich zur konservativen Therapie schneller eine signifikante Schmerzbefreiung erreicht wird. Was hier allerdings fehlt, ist die Langzeitbetrachtung. Denn aus früheren Studien geht hervor, dass nach zwei bis vier Jahren bei den Patienten nahezu keine Unterschiede mehr zwischen operierten und konservativ therapierten festzustellen waren.**) Ebenfalls ungeklärt blieb, ob durch die Behandlung mit physiotherapeutischen und anderen konservativen Methoden eine Operation hinfällig wurde.

Wirksame Therapien und Rehabilitation

Damit Probleme mit den Bandscheiben und mit dem Rücken generell erst gar nicht zu Notfällen werden, ist eine frühzeitige Diagnostik – gekoppelt mit präventiven therapeutischen Maßnahmen – besonders wichtig. „Sehr häufig kommen Patienten mit abnützungsbedingten Erkrankungen und unspezifischen Rückenschmerzen, deren Ursachen oft nicht unmittelbar durch Röntgendiagnostik oder Magnetresonanztomografie erkennbar sind“, weiß der Leiter des Nuhr Medical Centers, Univ.-Prof. Dr. Martin Nuhr, aus seiner langjährigen Praxis. Nach einer klinischen Untersuchung und einem ausführlichen Arzt-Patient-Gespräch wird eine entsprechende Diagnose erstellt und eine spezifische, gänzlich auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten maßgeschneiderte Therapie empfohlen. Je nach Erkrankung werden unterschiedliche Behandlungen aus den Bereichen der Thermo-, Elektro-, Mechano-, und Hydrotherapie bis hin zur medizinischen Trainingstherapie eingesetzt. Durch den gezielten Einsatz schmerztherapeutischer Maßnahmen kann mit dem multimodalen Ansatz nicht nur Schmerzlinderung erreicht, sondern auch die körperliche Symptomatik, wie etwa der Bandscheibenvorfall, deutlich verbessert werden. Univ.-Prof. Nuhr: „Die konservative Therapie beim Bandscheibenvorfall braucht vielleicht etwas mehr Zeit, dafür fallen sämtliche Risiken, die ein chirurgischer Eingriff mit sich bringen kann, weg.“ Ist eine Operation nötig, bieten sich auch danach die vielfältigen Maßnahmen zur schnellen und effizienten Rehabilitation an. Denn, so der Mediziner: „Ein chirurgischer Eingriff ist nur so gut wie seine Nachbehandlung.“

Zusatzinformation: Wie kann ein Bandscheibenvorfall entstehen?

Die Bandscheiben sind die Stoßdämpfer für die Wirbelsäule. Sie sitzen zwischen den Wirbelkörpern und bestehen aus einem weichen elastischen Gallertkern im Inneren, der von einem äußeren harten Faserring umgeben ist. Der Gallertkern saugt sich mit Wasser voll, das er vor allem im Liegen von der umgebenden Gewebsflüssigkeit abzapft. Im vollgesaugten Zustand kann er seine Pufferfunktion erfüllen. Tagsüber wird die Flüssigkeit, bedingt durch den Druck, der auf den Bandscheiben im Stehen oder Sitzen lastet, wieder aus dem Inneren der Bandscheibe herausgepresst. Je älter ein Mensch wird, desto weniger gut können die Bandscheiben Wasser im Inneren aufnehmen. Dadurch büßt der Gallertkern an Elastizität ein und wird zunehmend spröde. Diese Abnützung kann auch den stützenden Faserring betreffen. Wird die Bandscheibe übermäßig belastet, kann der Gallertkern verrutschen und auf den Faserring drücken (Vorwölbung) oder diesen durchbrechen. Bei letzterem spricht man von einem Bandscheibenvorfall (Prolaps, Discusprolaps). Obwohl durch den Alterungsprozess der Bandscheibe eher ältere Menschen von Bandscheibenvorfällen betroffen sind, können auch junge Menschen Probleme damit haben. Hierbei spielen unter anderem Übergewicht und eine Fehlbelastung bzw. Überlastung der Wirbelsäule eine Rolle.

Da die Hauptlast des Körpers von der Lendenwirbelsäule getragen wird, kommt es in den meisten Fällen (rund 90 Prozent) in diesem Bereich zu einem Bandscheibenvorfall. Deutlich seltener (etwa zehn Prozent der Fälle) ist die Halswirbelsäule betroffen. Fehlhaltungen und Fehlbewegungen begünstigen Probleme mit den Bandscheiben. Wer sich zum Beispiel nach vorne beugt und mit gekrümmtem Rücken eine schwere Kiste hochhebt, übt eine enorme Belastung auf die Lendenwirbelsäule aus – und damit auch einen vermehrten Druck auf die Bandscheiben. Auch langes Sitzen belastet die Bandscheiben. Die Halswirbelsäule und deren Bandscheiben werden besonders belastet, wenn ein Mensch etwa über viele Jahre schwere Lasten auf den Schultern trägt oder kopfüber arbeitet.

Quellen-Angaben:

*) J.M. Salehin, F. Krummenauer, K. Schaper, F.W. Weber: Früh vs. spät: Gibt es den optimalen Zeitpunkt für einen chirurgischen Eingriff am Bandscheibenvorfall der lumbalen Wirbelsäule? Ergebnisse einer prospektiven matched pair‐Kohortenstudie, Phys Med Rehab Kuror 2015, 25: 19‐30
**) Weber H. Lumbar disc herniation. A controlled, prospective study with ten years of observation. Spine 1983;8: 131­‐140
 Peul WC, van den Hout WB, Brand R et al. Prolonged conservative care versus early surgery in patients with sciatica caused by lumbar disc herniation: two year results of a randomised controlled trial. Prognostic Study Group. BMJ 2008; 336: 1355 ‐1358